Der Schalltrichter

Thomas Speck

Die Meinungsmuskulatur – Nichts Wissen macht auch nichts

Über den Verfall des Wissens, trotz der extremen Verfügbarkeit

10.10.2024 16 min

Zusammenfassung & Show Notes

In dieser Folge von Der Schalltrichter packt Thomas Speck seine satirische Kettensäge aus und macht kurzen Prozess mit der „Google-Logik“. Was braucht man schon Wissenschaft, wenn das Internet doch die ultimative Quelle der Wahrheit ist? Thomas seziert den modernen Irrglauben, dass ein schneller Blick in die Suchmaschine ausreicht, um das eigene Weltbild kugelsicher zu untermauern – und das natürlich ganz ohne Fakten. Schließlich kann ja jeder „selber denken“, oder?

Von Echokammern über pixelige Screenshots als unerschütterliche Beweise bis hin zu YouTube-Weisheiten à la „Die Erde ist flach“: Kein Schwachsinn ist zu absurd, um nicht mit einem lauten „Lies doch mal nach!“ verteidigt zu werden. In seiner gewohnt bissigen Art nimmt Thomas die „Meinungsathleten“ ins Visier, die zwar ihre vermeintlichen Muskeln spielen lassen, aber schon beim kleinsten Windhauch der Realität ins Schwitzen geraten.

Ob Aluhut-tragende YouTuber oder die „Flache Erde“-Community – Thomas zeigt, wie sich die Verweigerung echter Reflexion wie eine Pandemie der Dummheit ausbreitet. Also, schnallt euch an und genießt die Fahrt durch den zynischen Dschungel der Internet-„Wahrheiten“. Denn eines ist klar: In der heutigen Zeit braucht man mehr als nur Lautstärke, um wirklich was zu sagen – außer man will als Arnold Schwarzenegger des hohlen Diskurses durchgehen.
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Danke! Euer Thomas

Transkript

>> Thomas Speck: Weißt du, was mich wirklich auf die Palme bringt? Diese göttliche Fähigkeit mancher Menschen, das Internet als die ultimative Quelle der Weisheit zu betrachten. Es ist fast schon beneidenswert. Du fragst nach handfesten Beweisen für ihre kruden Thesen und sie verweisen dich mit einem triumphierenden Lächeln auf Google, als hätten sie gerade die Weltformel entschlüsselt. Google natürlich. Ich weiß nicht, wie ich so lange ohne diese unfehlbare Suchmaschine überlebt habe, die offenbar das letzte Bollwerk der unangefochtenen Wahrheit ist. Danke an Christian Phil für die Inspiration zu dieser Folge der Schalttrichter. Alltagsironie trifft Tiefsinn. Von und mit eurem man im Black des Alltags. Thomas Speck. Die Logik dahinter ist bestechend einfach. Steht es im Internet, muss es ja stimmen. Schließlich haben wir alle gelernt, dass dort ausschließlich Experten mit weißen Kitteln und Doktortiteln in Harvard Schriftzug das Sagen haben. Jeder Artikel, der auf den ersten zwei Seiten von Google erscheint, wurde natürlich akribisch von Nobelpreisträgern verfasst und durch mindestens drei Faktenchecker geschleust. Es gibt ja sonst keine alternativ Fakten, die sich wie gammelfleisch in den Tiefen des Netzes herumtreiben und darauf warten, hungrige, meinungsbildende Hirne zu infizieren. Doch es kommt noch besser. Die Argumentation ist nicht nur glasklar, sie ist auch kugelsicher. Du versuchst zu diskutieren und was hörst du? Lies doch einfach mal nach. Ja klar, weil 10 Minuten auf irgendeiner obskuren Webseite, die aussieht, als hätte sie ein blinder Waschbär in den ERN auf einer defekten Schreibmaschine programmiert, natürlich meine Argumentation grundlegend verändern wird. Ich meine, wer braucht schon Quellenangaben oder wissenschaftliche Expertise, wenn man das auch alles selbst recherchieren kann? Fakten sind schließlich nur etwas für Weicheier, für Menschen, die sich den Luxus erlauben, tatsächlich etwas zu lernen, bevor sie den Mund aufmachen. Aber jetzt einmal ehrlich. Dieses ganze ich habe das gegoogelt Mentalität ist doch ein Symptom für etwas Größeres. Es ist die totale Verweigerung, sich ernsthaft mit der Realität auseinanderzusetzen. Warum komplizierte wissenschaftliche Studien lesen, wenn man sich in einer halben h auf YouTube von einem Typen im Keller mit Aluhut erklären lassen kann, dass die Erde flach ist und der Klimawandel eine Erfindung von Greta Thunberg ist? Es ist doch viel bequemer, sich die Welt so zurecht zu googeln, wie man sie haben will. Wissenschaft überbewertet Journalismus. Mainstream schont Experten. Eine Verschwörung. Und die Krone dieses Wahnsinns? Die Echokammern, diese Filterblasen, in denen sie sich gemütlich einrichten und nur noch das hören, was ihre Überzeugungen stärkt. Es ist wie ein wohliges Bad im Selbstbetrug, bei dem man nie wieder raus muss, weil der Algorithmus dafür sorgt, Ÿousand, dass einem nur die Informationen präsentiert werden, die man ohnehin schon glaubt. Keine störenden Fakten, keine unangenehmen Wahrheiten, nur ein steter Strom von Bestätigung, bis der eigene Horizont so eng wird, dass selbst ein Hamster darin Platzangst bekommt. Kritik und Zweifel? Fehlanzeige. Warum sollte man auch raus in die echte Welt treten, wenn die eigene Filterblase doch perfekt gepolstert ist? Nein, nein, meine Freunde, was wir hier brauchen, ist die ungeschminkte Wahrheit. Am besten in Form von schimmligen Stockphoto PowerPoint Präsentationen, die mit Comic Sans Schrift auf matschigen Webseiten verbreitet werden. Und was dabei besonders schön Diese Leute haben keinerlei Scham, ihre selbsternannte Bildung lautstark zur Schau zu stellen. Populisten sind die wahren Bildungsrevolutionäre. Sie beweisen täglich, dass man nichts wissen muss, um alles zu wissen. Einfach mal behaupten und dann so tun, als sei jeder Widerspruch ein persönlicher Angriff auf die eigene Intelligenz. Wobei, Moment mal, Intelligenz? Das ist vielleicht das falsche Wort. Besser Meinungsmuskulatur. Und weißt du, was das beste an dieser sogenannten Meinungsmuskulatur ist? Sie funktioniert wie ein Bodybuilder, der zwar einen riesigen Bizeps hat, aber keine Ahnung, wie man ihn richtig einsetzt. Das Prinzip ist man muss gar nicht richtig trainieren, man muss nur laut genug stöhnen und die Hantel wild in die Luft werfen. Differenzierte Argumente? Pff, überbewertet. Es geht nur darum, das Meinungsgewicht so brachial wie möglich auf den Tisch zu knallen. Zweitausendein, bis jeder glaubt, man sei der Arnold Schwarzenegger des Diskurses. Und wenn das nicht reicht, dann halt draufgepackt. Noch eine verschwurbelte Theorie, noch ein Google Link, noch ein Screenshot. Hauptsache die Meinungsmuskeln sind immer angespannt und glänzen im Licht des Selbstbetrugs. Das Interessante an dieser Technik ist ja, dass sie sich selbst verstärkt. Man baut seine Meinungsmuskeln nicht durch Wissen und Fakten auf, sondern durch Wiederholung und Lautstärke. Wer braucht schon Reflexion oder Selbstkritik, wenn man einfach nur lauter wird? Die Schwachstellen und Wissenslücken bleiben verborgen, solange man die Stimme nur genug hebt und alle anderen übertönt. Dann braucht es keine differenzierte, fundierte Argumentation. Man braucht nur stattdessen einfach mit der Wucht eines Vorschlaghammers alles niederbrüllen. Und warum? Weil Lautstärke die perfekte Tarnung ist. Wer laut genug schreit, gibt niemanden die Chance, die Dummheit zu entdecken, die sich hinter den gebrüllten Parolen versteckt. Es ist die klassische überwältige die Zuhörer mit so viel Meinungsmuskulatur, dass sie gar nicht mehr dazu kommen, genauer hinzuschauen und die feinen Risse zu sehen. >> Thomas Speck: Zweitausendein. >> Thomas Speck: Denn wenn man selbst nicht mehr weiter weiß, übertönt man einfach die kritischen Stimmen und schafft sich so ein Schutzschild aus Lärm. Jede Selbstkritik, jede Reflexion, wie gesagt, wird überflüssig. Solange die eigene Lautstärke die Luft beim Denken für alle anderen erstickt, bleibt man unangreifbar. Es wäre doch auch großartig, den Populisten so etwas wie einen Geheimbund zuzuschreiben. >> Thomas Speck: Zweitausendein. >> Thomas Speck: Eine Art Google Logen Brüderschaft, die sich heimlich in Foren trifft, um die wirkliche Wahrheit zu diskutieren. Sie nennen sich die Aufgewachten oder die Wissenden, während der Rest der Welt in ewiger Dunkelheit tappt. Oder wie sie es nennen würden, im Systemdenken. Sie treffen sich in Chatgruppen mit so klingenden Namen wie die flache Erde, Lichter, Greta Schwindel, Enthüller oder die Wahrheit über den g Impfschwindel. Dort tauschen sie ihre Informationen aus, die sie vorher über Stunden aus den dunkelsten Ecken des Internets gefischt haben. Der absolute Höhepunkt ist dann, wenn sie sich gegenseitig gratulieren, weil sie als einzige durch die allumfassende Lügenmatrix geblickt haben. Alle anderen, diese Schafe, können doch gar nicht verstehen, dass die Regierung, Big Pharma, die Medien und eigentlich jeder mit einem IQ über Zimmertemperatur in einer riesigen Verschwörung steckt. Was auch auf keinen Fall fehlen darf, ist der magische Moment, wenn diese selbsternannten Forscher dann einen Screenshot von einer zweifelhaften Website posten. Und das ist dann der absolute, unumstößliche Beweis. Ein Screenshot ist in diesen Kreisen ungefähr so mächtig wie ein Eid vor dem Supreme court. Fakten sind überflüssig, wenn man einen Screenshot hat. Denn, und das ist wichtig, jeder weiß ja, ein Bild sagt mehr als tausend Wissenschaftler. Also, wenn der Screenshot pixellig ist, die Schrift aussieht wie aus einem Nintendo Spiel von 1993 und das Design der Website an ein längst vergessenes MySpace Profil erinnert, zweitausendein. Dann ist das nicht nur ein Beweis, das ist ein Kunstwerk der Erkenntnis. Und dann ist da noch das absolute Lieblingsmantra dieser Leute. Denkt doch mal selber, als wäre das ein revolutionärer Akt des Widerstands gegen die Diktatur des klaren Verstandes. Sie sagen das so, als würden sie persönlich jeden Morgen beim Zähneputzen die Relativitätstheorie überprüfen oder beim Kaffeekochen die Quantenphysik umkrempeln. Selber denken bedeutet in ihrem Kosmos aber schlicht, das eigene Hirn in den Leerlauf zu schalten und sich blindlings in den Strudel der Halbwahrheiten zu stürzen, die einem das Internet als all you can eat Buffet der Dummheit serviert. Das traurige daran ist, dass diese Menschen denken, sie seien der Gipfel der intellektuellen Evolution, während sie in Wahrheit wie Lemminge den Klippenrand stürmen. Und immer wenn man denkt, sie würden endlich in die Realität zurückkehren, machen sie den nächsten Sprung ins Bodenlose. Es ist fast wie ein Sport für sie. Wer am weitesten von der Wahrheit entfernt ist, gewinnt. Es ist ja nicht so, als könnte man diesen ganzen Schwachsinn nicht aufdecken. Man bräuchte dafür nur ein kleines Wunder, genannt Medienkompetenz. Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer. Heute braucht es eine Art intellektuelles Machetenmesser, um sich durch den dicht gewucherten Schwurbel Dschungel zu schlagen. Es reicht nicht mehr, nur zwischen seriöser Quelle und offensichtlicher, falscher Information zu unterscheiden. Nein, die Fakes sind inzwischen so geschickt verschleiert, dass man eine gehörige Portion kritisches Denken, fundierte Recherchefähigkeiten und einen scharfen Blick für die kleinsten Details benötigt, um den Dreck herauszufiltern. Wer heute durch diesen Wildwuchs der Lügen stolpern will, ohne sich komplett zu verirren, muss ein verdammter Dschungelprofi sein. Und davon gibt es leider viel zu wenige. Und überhaupt, Medienkompetenz ist doch überbewertet. Warum die Quelle eines Artikels überprüfen, wenn die Überschrift genau das bestätigt, was ich eh schon glaube? Zweitausendein alles, was nicht ins eigene Weltbild passt, wird als Fake News abgetan und das ist der Geniestreich. Und so drehen sie sich in ihrer eigenen kleinen Spirale der Blödheit immer weiter nach unten, ohne jemals das Bedürfnis zu verspüren, echte, überprüfbare Quellen zu hinterfragen. Es ist fast wie ein religiöses Dogma. Je absurder die these, desto fanatischer verteidigen sie sie. Sie lesen nicht, um zu verstehen, sie lesen nur, um sich zu bestätigen. Der Dialog ist doch schon längst tot, ersetzt durch ein endloses Echo, das nur eine Botschaft zurü du hast recht, du hattest schon immer recht und wer dir widerspricht, ist ein Idiot. Einfach herrlich, diese intellektuelle Genügsamkeit. Oder sollte ich sagen, dieser Rückzug in die Sicherheit der eigenen Wahnvorstellung. Stell dir vor, es gäbe eine simple Formel für den Erfolg im Leben und sie alles, was mir nicht gefällt, ist eine Lüge. Zack, erledigt, die Erde ist flach. Klar, Klimawandel gibts nicht. Logisch, alle Wissenschaftler dieser Welt lügen, nur der Typ mit dem Instagram Profil truthspeaker hat den Durchblick. Und der hat immerhin 2000 Follower. Das ist ja praktisch ein akademischer Titel. >> Thomas Speck: Ÿousand. >> Thomas Speck: Manchmal frage ich mich, wie das wohl wäre, wenn wir das auf alle Bereiche unseres Lebens anwenden könnten. Stell dir vor, du gehst zum Arzt und er sagt dir, dass du dringend eine OP brauchst. Aber warum ihm glauben? Du googelst brauche ich wirklich eine Operation? Und siehe da, irgendein Forum voller selbsternannter Heilpraktiker erklärt dir, das alles mit ein bisschen Lavendelöl und gutem Karma zweitausendein geheilt werden kann. Oder noch besser, du gehst zu deinem Chef und forderst eine Gehaltserhöhung, weil du in einem Blog gelesen hast, dass es wissenschaftlich bewiesen ist, dass man bei einem Vollmond mindestens 20 % mehr Gehalt verdient. Nun, es ist dieser Cocktail aus Ignoranz, Arroganz und einer Prise Verschwörung, der das Ganze so faszinierend macht. Eine ständige Selbstbestätigung in der eigenen Filterblase. Man zieht sich seine Welt an wie einen maßgeschneiderten Anzug aus Halbwahrheiten, der perfekt sitzt und keine Fragen zulässt. Und wenn doch jemand wagt, Kritik zu üben, wird er als Systemsklave abgestempelt. Kritisches Denken wird gleichgesetzt mit Verrat. Und der größte Verrat von allem ist, sich selbst in Frage zu stellen. Ich weiß nicht, wohin das noch führen soll, aber eins ist sicher, solange wir Google haben, werden wir nie wieder von der Wahrheit belästigt. Danke fürs Zuhören. Denk dran, wenn dir dieser Podcast gefällt und du gutem Inhalt etwas zurückgeben möchtest, klick auf abonnieren, gib uns ein Herzchen, fünf Sterne oder einen guten Kommentar. Und wenn du noch tiefer eintauchen willst, melde dich auf meiner Website für den Newsletter an und verpasse keine spannenden Updates. Teile es auch gerne mit Freunden, die sich über eine gute Portion zynischen Humors oder manche Nachdenklichkeit freuen würden. Danke für deine Unterstützung. Bis nächste Woche. Same time, same station. Euer Thomas. Solange die eigene Lautstärke die. Bäh. Die Wahrheit über die fünf. Sie treffen sich. Sie treffen. In dieser Fantasie treffen sie sich in.